Scientia sine ordine vana est.
Ordo sine humanitate vacuus est.
Humanitas sine scientia caeca est.
Wissenschaft ohne Ordnung ist ziellos. Ordnung ohne Menschlichkeit ist leer. Menschlichkeit ohne Wissenschaft ist blind.

Antipyretika bei kritisch Kranken
Überprüfung von Dipyrone und Acetaminophen
Hintergrund unserer Studie: The antipyretic effectiveness of dipyrone in the intensive care unit: A retrospective cohort study — erschienen in PLOS ONE — war die lückenhafte Datenlage zur Fiebersenkung bei kritisch kranken Patient:innen. Während für Acetaminophen bereits randomisierte Studien vorliegen, gibt es für Dipyrone bislang kaum belastbare Evidenz. Ziel war es daher, den Temperaturverlauf in der frühen Phase nach Medikation systematisch mit einer unbehandelten Kontrollgruppe zu vergleichen.
Untersucht wurde eine retrospektive monozentrische Kohorte von 937 Intensivpatient:innen (MHH). Die drei Vergleichsgruppen:
- Dipyrone intravenös (n = 341)
- Acetaminophen intravenös (n = 71)
- Kontrollgruppe ohne antipyretische Medikation (n = 315)
Der primäre Endpunkt war die maximale Abnahme der Körpertemperatur innerhalb der ersten acht Stunden nach dem Temperaturmaximum oder nach Medikamentengabe. Temperaturen wurden stündlich dokumentiert, analysiert wurden Medianwerte, Perzentile und 95 %-Konfidenzintervalle. Die Auswertung erfolgte mithilfe nichtparametrischer Tests (Kruskal-Wallis).
Temperaturverlauf bis 8 Stunden nach Verabreichung bzw. Beginn der Messung
Detailansicht
Detailansicht
Detailansicht
Temperaturverteilung je Zeitpunkt
Boxplots verdeutlichen Unterschiede zwischen den Gruppen
Ergebnisse
Zentrale Beobachtungen
Alle Gruppen zeigten einen Temperaturabfall im Zeitverlauf.
Acetaminophen wirkte schnell, aber nicht nachhaltig.
Dipyrone zeigte ab vier Stunden eine stärkere Wirkung als keine Therapie.
Über acht Stunden war die Differenz zwischen den Medikamenten gering, die Effekte insgesamt moderat.
Auch unbehandelte Patient:innen hatten einen spontanen Temperaturabfall von etwa 0,6–0,7 °C.
Konklusion
Unsere Studie legt nahe, dass die antipyretische Effektivität von Dipyrone bei kritisch kranken Patienten überschätzt wird. Zwar kam es nach Gabe von Dipyrone zu einem medianen Temperaturabfall von –0,8 °C innerhalb von acht Stunden, jedoch zeigte sich ein vergleichbarer spontaner Abfall auch ohne medikamentöse Behandlung.
Acetaminophen wirkte schneller, Dipyrone später, doch der Gesamtunterschied zwischen beiden Substanzen blieb gering (–0,1 bis –0,2 °C). Damit sind die klinischen Implikationen begrenzt: Fieberkontrolle mit Dipyrone oder Acetaminophen ist möglich, doch der Nutzen muss stets im Verhältnis zu potenziellen Risiken und Nebenwirkungen gesehen werden. Die Effektivität von Dipyrone in der Intensivmedizin dürfte daher eher überschätzt sein; belastbare Evidenz für einen routinemäßigen Einsatz fehlt bislang.
Die vollständige Studie ist als Open-Access-Artikel bei PLOS ONE verfügbar:
- Retrospektives, monozentrisches Design ohne Randomisierung.
- Unterschiede in den Gruppengrößen, kleine Acetaminophen-Kohorte.
- Zeitpunkte von Medikation und Temperaturmessungen nicht standardisiert.
- Keine systematische Erfassung von Nebenwirkungen.
Ausblick
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit prospektiver, randomisierter Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Dipyrone in der Intensivmedizin. Ein entsprechendes Projekt wird derzeit von AIM vorbereitet. Ziel ist es, in einem kontrollierten Setting belastbare Daten zu generieren, die über retrospektive Analysen hinausgehen. Informationen zu neuen Projekten finden Sie zukünftig in Updates.